Karl-Heinz Hentschel

Da beißt keine Maus einen Faden ab

Nachdruck aus: Heimatkalender für Neckartal, Odenwald, Bauland und Kraichgau. Heidelberg 2000: 231-234.




Historische Mausefalle.
Eigenbau des Autors nach alten Originalen: Eine "dreischläfrige" Falle, bei der die Maus den Faden abbeißen muss.


Redensarten, bildhafte Wendungen beleben unsere Umgangssprache. Selten ist und aber bewusst, dass die Gesamtbedeutung einer Redensart gewöhnlich nicht aus der Bedeutung der Einzelelemente abgeleitet werden kann. Das noch vor Jahren häufig gehörte Idiom "Er ist auf Draht" macht das deutlich. Ist der Kerl nur gewieft, geübt, vielseitig, wendig, findig, pfiffig oder doch gar durchtrieben? Und weshalb rankt sich die Beurteilung um das Wort Draht? Klar, wir wissen, was gemeint ist,. Dennoch ist letztendlich die Aussage nur nach persönlichen, mit der Redensart verbundenen Erfahrungen zu interpretieren. Es ist möglich, dass dabei ersatzweise sogar an die englische Wendung up to date gedacht wird.

Viele der heute noch gängigen Redensarten entstanden schon vor Jahrhunderten und haben nicht selten inzwischen einen anderen Sinn bekommen. So war ein Beutelschneider ursprünglich der Dieb, der den Frauen den an einem Riemen oder einer Schnur an der Kleidung getragenen Geldbeutel abschnitt.

Beutelschneider

Wer einst etwas auf dem Kerbholz hatte, war womöglich allein dem Wirt oder dem Kaufmann etwas schuldig. Als man noch nicht anschrieb, gab es dafür das Kerbholz, ein der Länge nach halbierter Holzstab. In den zusammengefügten Hölzer wurden jeweils quer Kerben eingeschnitten. Sie zeigten einen Anspruch, aber manchmal in gleicher Weise eine vollzogenen Leistung an. Der Gläubiger und der Schuldner verwahren je eine Hälfte. Beiden konnten die Zahl der Kerben jederzeit kontrollieren, indem sie die Hälften aneinander fügten. Bei den Einkerbungen war lediglich festzulegen, um was es dabei ging, Das konnte Geld, Ware, aber auch eine Leistung sein. So schnitt vielleicht der Wirt die verabreichten Gläser Bier oder Branntwein in das mit dem Namen oder Handzeichen des Gastes versehene Kerbholz. Nach dem Ausgleich der Forderung wurden die Kerben an beiden Hölzern abgeschnitten. Selbst die Zehntforderungen haben frühere Herrschaften einmal mit Kerbhölzern überwacht. Heute hat die Redensart Etwas auf dem Kerbholz haben eine negative Bedeutung und wird oft mit einer strafbaren Handlung verknüpft.

Redensarten sind nicht mit Sprichwörtern gleichzusetzen. In Sprichwörtern stecken oft uralte, vom Volk geprägte Erfahrungssätze. Bei H. J. Christoffel von Grimmelshausen finden wir in seinem Simplicissimus die alte Form eines bekannten Sprichwortes:

Freund' in der Not
gehen fünf und zwanzig auf ein Lot1
solls aber ein harter Stand sein
so gehen fünfzig auf ein Quintlein.

Sprichwörter nennen also im Gegensatz zu den Redensarten das Ding beim Namen, bedürfen kaum einer Erklärung. Es sind aber die Redewendungen, die wir weit häufiger als die Sprichwörter verwenden, obwohl ihr ursprünglicher Sinn uns verborgen blieben kann. Dies trifft für den Satz zu: "Da beißt keine Maus einen Faden ab". Gemeint ist: da ist nichts zu machen, das ist so, das ist unabänderlich.

Bekannte einschlägige Standardwerke bieten dafür zahlreiche Erklärungen an, die das Reich der Fabel und die heilige Gertrud bemühen, aber nicht wirklich überzeugen.2 Mir erschloss sich der Sinn dieses Idioms wie eine Offenbarung, als ich vor langen Jahren im Magazin des Ettlinger Museums eine merkwürdige Konstruktion erblickte. Es bot sich einfach an, das Ding aus Holz, Draht und Spiralfedern selbst nachzubauen. Später konnte sogar ein altes, gebrauchtes Exemplar gegen einen weiteren Nachbau eingetauscht werden (heute im Bestand des Pfinzgaumuseums Durlach).

Der Spruch mit der Maus und dem Faden geht mit Sicherheit auf eine einmal in ganz Europa bekannte Mausefalle zurück. Bei ihr muss die Maus einen Faden abbeißen, wenn sie mühelos an den Köder kommen will. Diese Fallen sind noch heute in den Balkanländern gebräuchlich. Die Konstruktion ist einfach: In einen Holzklotz werden Löcher mit einem Durchmesser von etwas 3 cm gebohrt. Quer zur jeweiligen Bohrung sind Schlitze erforderlich, in die eine Drahtschlinge passt. Die an einer Spiralfeder befestigte Schlinge wird in den jeweiligen Schlitz gedrückt und festgehalten. Dann muss ein zweifach durch die Bohrung und den Holzkern laufender, unten verknüpfter Faden die gespannte Feder niederhalten. Der Köder, meist nur Mehl, liegt hinter den Fäden. Die in die Öffnung eindringende Maus fühlte sich den beiden Haltefäden behindert und wird deshalb einen davon abbeißen. Damit kommt aber die Feder schlagartig frei und schnellt die anhängende Schlinge nach oben. Bei einer starken Feder ist die Maus augenblicklich tot. Befindet sich in einer solchen Falle kein Köder, so beißt auch keine Maus einen Faden ab: Nichts Zu machen! Diese Fallen können übrigens nie durch einen Stoß, sondern nur durch den Biss der Maus ausgelöst werden. Ihre ehemals große Verbreitung wird damit verständlich.

Die uns durchweg mündlich überlieferten Redensarten bereichern und beeinflussen unsere Sprache. Ihre Wurzeln können weit zurückgehen. Die Schlichtheit der darin ausgesprochenen Erfahrungen unterscheidet sich von der Lehrhaftigkeit der Spruchwörter, obwohl es zwischen beiden Verknüpfungen gibt. Es hat seinen Reiz, über diese oft rätselhaften Redensarten nachzudenken - und wer auf Draht ist, kommt auch bald auf den Trichter!

Anmerkungen.

1 Lot: alte mittel- und nordeuropäische Gewichtseinheit, regional unterschiedlich, 15,6 - 17,59 g.  Quäntchen (Quintlein): alte deutsche Gewichtseinheit, regional unterschiedlich, 3,9 - 4,4 g. [zurück]
2 Vgl. z. B. Müller, Klaus (Hrsg.): Lexikon der Redensarten. Gütersloh 1994; Röhrich, Lutz: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, Freiburg 1971; siehe allerdings auch derselbe: Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Freiburg 1992. [zurück]


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