Das Büchenbronner Wagnerkreuz
Steinkreuze ohne Inschriften regten schon immer die Phantasie des Volkes
an, führten mitunter zu eigentümlichen Geschichten, die sich
zumeist
um Mord und Sühne rankten. Sühnekreuze, als Sühne für
einen Totschlag erstellt, lassen sich bis in das 13. Jahrhundert
nachweisen.
Das Material für diese Kreuze war nicht immer vorgeschrieben, aber
nur
Steinmale konnten die Jahrhundert überdauern. Als Mahnmal waren sie
Teil einer Kirchenbuße, neben den manchmal an die
Hinterbliebenen
und an das "Gotteshaus" zu entrichtenden Geldbeträgen. Außerdem
mußten Seelenmessen für die Erschlagenen gelesen werden, denen
dann noch mindestens drei vorgeschriebene Wallfahrten zu folgen
hatten.
Überwiegend deuten an Sühnekreuzen angebrachte Zeichen den
Berufsstand
des Getöteten an. Zuweilen werden aber die Darstellungen als die
eigentlichen
"Mordwerkzeuge" gedeutet. In manchen Abbildungen sind nach der
volkstümlichen
Meinung überdies die Gegenstände zu sehen, die zum Streit und
damit
zum Tod führten. Da nur selten die zugehörigen
Sühneverträge
oder "Totschlagbriefe" in den Archiven überliefert wurden, bleibt uns
die Geschichte dieser größtenteils mittelalterlichen
Rechtsdenkmäler
mehrheitlich verschlossen.
Dies gilt auch für das alte Steinkreuz in Büchenbronn, das am
südlichen
Ortsausgang, rechts an der Straße nach Salmbach steht. Nach der
mündlichen
Überlieferung geht es auf einen tödlichen Streit zwischen einem
Fuhrmann und einem Metzger zurück. Zu dieser Auslegung führten
die an dem Kreuz angebrachten Zeichen, ein siebenspeichiges Rad und ein
Beil.
Günter Heinz berichtet in seiner Büchenbronner Chronik,
daß
dieses Kreuz schon am 9. Februar 1480 urkundlich erwähnt wird. Er ist
aber im Gegensatz zur mündlichen Überlieferung der Meinung,
daß
das Kreuz auf ein Hochgericht hinweist und führt dazu wörtlich
an: "Auch die eindeutigen Zeichen auf dem Kreuz, nämlich Rad und
Beil,
lassen sich eigentlich nur auf das Hinrichten durch Rädern und
Enthaupten
beziehen." (Heinz, S. 32 f.) Inzwischen ergaben sich jedoch neue
Erkenntnisse.
Das Zeichen am linken Balken des Kreuzes ist die Schlicht- oder Breitaxt
eines Wagners, die auch als Schlichtbeil bezeichnet wird. Eine
gleichartige
Axt findet sich in einer Illustration der Nürnberger
Zwölfbrüderstiftung.
Die genannte Stiftung bot jeweils zwölf alten, armen,
arbeitsunfähigen
Männern Unterkunft und Verpflegung. Für die alten Herren
("Brüder")
wurde nach deren Tod gleichsam als Nachruf, eine Zeichnung mit der
Darstellung
ihrer früheren Berufstätigkeit angefertigt.
In dem Hausbuch der Stiftung wird 1424 der 26. Bruder genannt. Der Text
über
der Darstellung eines Wagners lautet: "Der xxvj bruder der do starb der
hyeß
wagendreyn." Das Bild zeigt einen Wagner, der mit einer Schlichtaxt ein
großes
Wagenrad bearbeitet. Mit solchen Äxten wurde krummes gerade, glatt
oder
eben gemacht. Es ist eine Axt, deren Schneide parallel zum Holm
verläuft.
Sie ist asymetrisch, d. h. die dem Holze zugewandte Seite ist plan. Die
Schärfe
entsteht durch den Schliff auf der Gegenseite. Der damalige Zeichner hat
diese Eigenart in dem Bild eindeutig wiedergegeben. Vergleichen wir die
Einrillung
am linken Kreuzbalken mit der Axt auf dem Bild, so werden letzte Zweifel
ausgeräumt. Der Axt an dem Büchenbronner Kreuz diente ein
Werkzeug
als Vorlage, wie es in der im Jahre 1424 entstandenen Berufsdarstellung zu
sehen ist.
Die Darstellung der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung macht also
deutlich, daß es sich bei dem Zeichen im linken Kreuzbalken um die
Schlichtaxt eines Wagners handelt. Dieser Axtform, die nur dem
Wagnerhandwerk
eigen war, folgte dann im 16.Jahrhundert ein neuer Axttyp. Ein
illustrierter
Nachruf auf
einen 1572 gestorbenen Wagner zeigt diese neue Breitaxt. Dargestellt wird
ein Mann, der einhändig ein Breitbeil handhabt, das annähernd
die
uns heute geläufige Axtform hat. Nachdem sich nunmehr das Zeichen am
linken Kreuzbalken einem Wagner zuordnen läßt, wird jetzt auch
das Rad unmittelbar neben der Breitaxt verständlich. Beide Zeichen
bilden
eine Einheit, kamen als Berufszeichen für einen Wagner an das Kreuz.
Das Rad soll mit seinen nur sieben Speichen womöglich noch etwas
zusätzliches
aussagen. Wagenräder sind sonst stets mit acht Speichen wiedergegeben
worden. Um die Siebenzahl rankten sich früher allerlei Geheimnisse.
Sieben war einmal die Zahl der Schöffen und Zeugen. Es gab sieben
Frieden
für Haus, Weg, Ding, Kirche, Wagen, Pflug und Teich. Vielleicht
sollten
die sieben Speichen des Rades eben diese sieben Frieden symbolisieren. Die
Sieben eine heilige wie auch böse Zahl, so "die böse Sieben",
die
vielleicht auf ein Kartenspiel zurückgeht. Aber in Gegensatz sind zu
nennen: Die sieben Bitten des Vaterunsers, die sieben Worte Christi am
Kreuz,
die sieben Sakramente und die sieben Gebetszeiten. Es wird uns vermutlich
für immer verborgen bleiben, ob die sieben Speichen etwas
ausdrücken
sollten oder sich nur "zufällig" ergaben.
Es bleibt jetzt die Frage, ob es sich bei dem Büchenbronner Kreuz um
ein Gedenkkreuz oder um ein Sühnekreuz handelt. Gedenkkreuze sind
Male
der Erinnerung an einen Toten, der durch einen Unglücksfall oder
durch
Gewalt sein Leben einbüßte. Die ersten Gedenkkreuze für
Gewalttaten
errichtete man vermutlich nur dann, wenn der oder die Täter unbekannt
waren oder entkommen konnten und die Tat somit ungesühnt blieb. Sie
scheinen erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts, ja vielleicht erst im 17.
Jahrhundert aufgekommen zu sein. Mit der "Peinlichen Gerichtsordnung"
Kaiser
Karls V. von 1532, setzte sich nach und nach eine neue Rechtsordnung
durch,
die den althergebrachten Sühneverträgen und damit auch dem
Sühnekreuz
im Wege stand. Bei den in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
erstellten
Steinkreuzen ist eine Trennung zwischen Sühne- und und Gedenkkreuzen
nicht immer möglich. So kündet ein Steinkreuz mit der Jahreszahl
1595 im Landkreis Pforzheim, von einem Totschlag an Jerg Pfefflin. Ein
eingerilltes
großes Weberschiffchen spricht für den Beruf des Erschlagenen.
Das Kreuz steht heute in Tiefenbronn, im Ortsteil Mühlhausen in der
Grünanlage beim Neuen Schloß. Ob es sich aber bei diesem alten
Wahrzeichen noch um ein Sühnekreuz handelt, wissen wir nicht. Die
Mehrzahl
der alten Steinkreuze sind offenbar als Sühne für einen
begangenen
Totschlag vom Täter errichtet worden. In der Regel wurde zwischen dem
Täter und der Sippe des Getöteten ein Vertrag abgeschlossen. In
diesen Verträgen ging es vorrangig um das Seelenheil des
Verstorbenen,
aber eine Reihe von Bedingungen sollten auch den Täter zutiefst
demütigen.
Für manchen Täter war es gewiß nur mit Hilfe seiner
Angehörigen
möglich, die finanziellen Verbindlichkeiten solcher Verträge zu
erfüllen. Mehrheitlich werden diese Verträge als
"Totschlagbriefe"
bezeichnet. In den ehemaligen vorderösterreichischen Gebieten Badens
waren es "Urfehdebriefe". Die Urfehde war ein eidlich gelobter Verzicht
auf
Rache für erlittene Feindschaft. Wer diese Zusage nicht einhielt,
galt
als Meineidiger. Näheres zu zwei im Badischen Generallandesarchiv
vorliegenden
"Urfehdebriefen", die das Verfahren beispielhaft erläutern
können, finden Sie hier.
Wagner mit Schlichtaxt, historische Darstellung
Die Geschichte des Büchenbronner Kreuzes kennen wir nicht, aber
dennoch
läßt sich zusammenfassend feststellen: Die Stilmerkmale der am
linken Balken eingerillten Schlichtaxt weisen in das 15. Jahrhundert, in
dem auch das Kreuz urkundlich genannt wird. Es kann als sicher gelten,
daß
es zu dieser Zeit als Sühnezeichen errichtet wurde. Dann hat es aber
auch einmal den zugehörigen "Totschlagbrief" gegeben. Wahrscheinlich
ist diese Urkunde bei den großen Bränden und Kriegswirren
früherer
Zeiten verlorengegangen. Damit bleiben uns die letzten Geheimnisse des
Kreuzes
für immer verborgen. Wir wissen jetzt aber, daß seine beiden
Zeichen
im Gegensatz zur mündlichen Überlieferung vom Tode eines Wagners
künden.
Quellen:
Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüder-Stiftung
(1388-1799). Beschriftete kolorierte und gemalte Bildnisse der Brüder
und Pfleger. Nürnberg.
Heinz, G. (1975): Berggemeinde Büchenbronn. Eine Dorfchronik.
Pforzheim.
Hentschel, K.-H. (1986): "Die Problematik alter Steinkreuze". In:
Hierzuland, 1. Jahrg.Heft 2, S. 46 ff.
Losch, B. (1981): Steinkreuze in Baden Württemberg.
Stuttgart.
Götzinger, E. (1885): Reallexikon der Deutschen
Altertümer. Leipzig.
Wörterbuch der Deutschen Volkskunde. 3. Aufl. (1981).
Stuttgart.
Generallandesarchiv Karlsruhe: Abteilung 21/7246, Abt. 21/7382
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