Kleine Kulturgeschichte des Gewitters

Karl-Heinz Hentschel,  März 1993 (*)

Blitzschlag triff
Fürchten Sie sich vorm Gewitter? Nein? Vielleicht müßte die Frage präzisiert werden: Fürchten Sie sich vor einem Gewitter, wenn Sie auf freiem Feld von einem Unwetter überrascht werden, wenn plötzlich Blitze aus den Wolken schießen, denen ohrenbetäubende Donnerschläge folgen? In diesem Augenblick wird sich jeder bewußt, daß man den Naturgewalten hilflos ausgesetzt ist und die kommenden Ereignisse nicht mehr vorhersagen kann. Da gab es doch einmal die alte Bauernregel: "Vor den Eichen sollst du weichen, doch die Buchen sollst du suchen." Nun, heute wissen wir, daß diese alten Empfehlungen keineswegs zutreffen und immer wieder Personen vom Blitz erschlagen wurden, die unter Bäumen Schutz gesucht hatten. Wer von einem Gewitter im Freien überrascht wird, sollte eine Bodenmulde, einen Hohlweg oder den Fuß eines Felsvorsprunges aufsuchen, sich aber nicht anlehnen oder andere Personen oder Tiere berühren. Wichtig ist dabei, sich mit geschlossenen Beinen hinzuhocken. Vor einigen Jahrzehnten wurde noch geraten, sich zum Schutz flach auf den Boden zu legen. Dieser Empfehlung muß mittlerweile energisch widersprochen werden.

Die Meinungen des Altertums

Blitze galten seit Urzeiten als die Zeichen göttlichen Zorns, und Blitze schleudernde Götter sind für viele Kulturkreise nachgewiesen. In der griechischen Antike schleuderte Zeus Blitze vom Olymp herab, obwohl er doch zugleich als Schützer von Haus, Familie und jeglicherGemeinschaftsordnung verehrt wurde. Doch schon die Ionier suchten nach einer natürlichen Erklärung für das Phänomen. Sie vermuteten, daß die Ursache eines Gewitters der in einer dichten Wolke eingeschlossene Wind sein könne, der die Wolkenhülle zerreißt. Damit schien auch der Donner erklärbar, und mit der Öffnung der Wolke konnte zugleich das Licht des Himmels aufleuchten. Der griechische Philosoph Demokrit vermutete, daß die Wolken Feueratome bergen, die durch Lücken in den Wolkenhüllen hindurchgleiten. Für Aristoteles stand fest, daß sich Wolken aus feuchten Erdausscheidungen in Verbindung mit Wärme bilden und als Blitzschlag entzünden. Diese Auffassung verschaffte Aristoteles Weltgeltung. Heraklit sah in der Gewitterbildung ebenfalls entflammte, von der Erde ausgeschiedene Dünste. In der griechischen Philosophenschule Stoa wurde die Möglichkeit erwogen, daß der Blitz durch gegenseitige Reibung der Wolken entstehe, gerade so, wie man nach alter Gepfogenheit mit zwei aneinander geriebenen Hölzern Feuer entfachte. Daher erschien es den Stoikern wahrscheinlich, daß sich Wolken durch Reibung entzünden können.

Der nordische Blitzgott Donar

Donar, auch Thor genannt, ist in der germanischen Mythologie der Gott des Donners. Er fährt auf einem von zwei Böcken gezogenen Wagen durch die Wolken. In seiner Rechten trägt er einen schweren steinernen Hammer,mit dem er den Donner erzeugt. Dieser Hammer kehrt stets in seine Hand zurück, sooft er ihn wirft, schleudern seine Augen Blitze. Mit schimmernden Blitzstrahl melkt er die vollen Euter der Wolkenkühe, deren Milch als Regen auf die Erde niederfällt. Vom göttlichen Feuer des Blitzes stammt auch die Herdflamme, der Mittelpunkt des Hauses. Daher ist Donar ebenso wie der griechische Gott Zeus Schützer der Ehe und der Sippe. Jahr für Jahr wird Donars Hammer von Riesen gestohlen, die ihn dann sieben Wintermonate lang in ihrem Berg versteckt halten, bis der Gott ihn im Frühling wieder holt. Die Eiche war Donar als heiliger Baum geweiht. Sollte man vielleicht deshalb den Eichen wichen?

Gewittertheorien zur Zeit der Aufklärung

Bei der Erklärung des Blitzes hielt man sich noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts weitgehend an die Ansichten des Aristoteles. So erschien im Jahre 1746 eine Arbeit über die Ursachen des Blitzes und der Dünste, in der ein Arzt namens Friedrich Leberecht Supprian unter dem Titel "Vernünftige Gedanken von den Ursachen des Blitzes und dessen wunderbaren Wirkungen" noch die antiken Blitztheorien vertrat. Zunächst betrachtete er die Luft und das Feuer als zwei flüssige Materien. Das Feuer aber bestand für ihn aus winzigen Teilchen, die daher rascher als die Luft in die Höhe steigen konnten. Ihre Größe beschreibt er so: "Es wird in der Naturlehre erwiesen, daß die Schwere eines Feuertheilgen unendlich mahl kleiner sey, als der 35te Millionentheil von einem Gran." (Das Gewicht eines Grans war regional unterschiedlich; für das badische Gran werden 0,065 Gramm angegeben.)  Die Ansicht, daß Feuer ein Stoff sei, fand sich schon in der 1744 erschienenen "Abhandlung von dem Aufsteigen der Dünste und Dämpfe" von Ch. G. Kratzenstein, der die Feuerteilchen folgendermaßen beschrieb: "§.80. Da kein Cörper auf unserer Erde vollkommen kalt ist, sondern allezeit noch einige Feuertheilchen bey sich hat, so werden auch alle kalten Cörper z.E. das Eis noch ausdunsten müssen."

Supprian versuchte zu erklären, weshalb bei bewegter Luft, in den Wasserteilchen geschwinde Feuerteilchen sind und Dünste aufsteigen. Diese Dünste gehen für ihn offensichtlich nicht mit der Wolkenbildung einher; nach seiner Theorie können die Wolken lediglich den Aufstieg der Dünste begünstigen. Wenn zum Beispiel eine Wolke vor der Sonne steht, kühlt die Luft zwischen ihr und der Erde ab, und die Dünste müssen dann in die Höhe steigen. Mit seinen Worten: "So ist hieraus klar, wie eine finstre Wolcke vermögend sey das Aufsteigen derer Dünste von der Erde zu befördern. Alle Wasser, morastige Örter, Gottesäcker, Gerichtstätten, Schindanger, müssen demnach, wenn die Sonne stark geschienen und wenn die Luft kühle wird, beständig ausdünsten." Aber damit gibt sich Supprian noch nicht zufrieden. Er beschreibt des weiteren sehr ausführlich, wie Mensch und Tier über ihre "Schweißlöcher" ebenfalls ständig ausdünsten, und der Leser erfährt im folgenden, daß an seiner Fingerspitze auf die Größe eines Sandkornes 1250 Schweißlöcher kommen, daß Dünste aus der Nase austreten und mit dem Atem ausgeblasen werden. Die Aufzählungen umfassen schließlich noch die Ausdünstungen von Pfanzen, Tieren, Brunnen, Seen, Flüssen und toten Körpern. Alle diese Ausdünstungen bringen nach Meinung Supprians Schwefel in die Luft. Er führt weiter aus: "Ich verstehe unter dem Schwefel, alles was sich entzünden kann." Auch das Blut von Menschen und Tieren enthält für ihn Schwefelteile, denn: "Wenn man das Wässerichte von dem Blut abrauchen läßt, bleibt eine rote Erde zurück, welche sich von dem Feuer entzündet."

Es werden noch eine Reihe von weiteren Gründen für die Dünste aufgeführt, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Erwähnenswert ist aber noch, wie sich der Autor die Entzündung der Dünste vorstellte. Er war der Ansicht, daß sich Dünste von selbst entzünden, wenn sie sich an einem engen Ort häufen, und er verglich den Vorgang mit der Selbstentzündung von feuchtem Heu. Wenn sich schweflige Dünste in der Luft ohne Knall entzünden, so Suprian, dann spreche man vom Wetterleuchten. Wenn aber auf die Entzündung ein Knall folge, so nenne man die Flamme den Blitz und den Knall den Donner. Supprians Erklärung für Blitz und Donner war also recht einfach. Im Anschluß daran gibt er noch ausführliche Darstellungen über die Stärke des Blitzes und seine Wirkungen auf Menschen, Tiere und Bauten, und am Ende ist zu erfahren, daß die vom Gewitter Erschlagenen an einen kühlen Ort mit feuchten Ausdünstungen gebracht werden sollten, beispielsweise in einen sehr tiefen Keller, damit sie wieder Atem holen könnten.

Auch wenn seine Erklärungen aus heutiger Sicht unsinnig sind, widerlegt Supprian doch wenigstens den alten Glauben, daß Menschen und Tiere von Steinen ("Donnerkeilen") erschlagen werden, die mit Blitz und Donner auf sie herabgeschleudert werden. Er weist darauf hin, daß solche Steine niemals bei den Erschlagenen gefunden werden. Die sogenannten Donnerkeile,versteinerte, geschoßförmige Schalenteile einer ausgestorbener Tintenfischart (Belemniten), wurden lange Zeit, sogar noch im 19. Jahrhundert, mit dem Gewitter in Verbindung gebracht. Auch der Glaube an die gefährlicheh Dünste hielt sich sehr lange. So findet sich noch in den 1805 veröffentlichten "Allgemeinen Sicherheits-Regeln für Jedermann bei Gewittern" folgenden Hinweis: "Man erhize sich daher, zur Zeit der Ungewitter, nicht. Die durch allzugroßen Schweiß entgehenden Ausdünstungen sind brennbar, als daß wir bei ihnen, bei entstandenen Blizen, gefahrfrei bleiben sollten."

Abschließend seien noch einige der Vorkehrungen genannt, die Suprian zum Schutz vor Gewittern empfiehlt. Weil Schweiß und schweflige Ausdünstungen den Blitz auslösen können, soll in dem Zimmer, in dem man sich während des Gewitters aufhält, keine dichte Luft sein. Es folgt die Empfehlung: " Ein Mittel wäre, sich zu der Zeit von einem starcken Schweiß zu befreyen, daß man ein weisses Hemde anlegte, und den Leib mit kaltem Wasser waschte, und die schweflichten Dünste in der Luft zu zerstreuen, wäre ein Feuer aus einer grossen Canone die beste Beschützung. Es ist derowegen ebenfalls nicht ungegründet wenn an einigen Orten, wo ein Gewitter ist, mit vielen Glocken geläutet wird."  Hier erinnert Supprian an einen Brauch, der seit Jahrhunderten üblich war: das Läuten geweihter Glocken zum Schutz vor Hagel, Unwettern und Gewittern.

Gewitterszene

Gewitterszene aus Les grandes inventions anciennes et modernes dans les sciences, l'industrie et les arts (1870)


Die Glockenweihe

Der alte Brauch, die für den Gottesdienst bestimmten Geräte und Gewänder zu segnen, galt auch für die Glocken. Der Ursprung der Glockenweihe und Segnung wird Papst Johann XIII zugeschrieben, der einer für die Laterankirche in Rom bestimmten Glocke im Jahre 968 seinen Namen gab. Es wird aber angenommen, daß Glocken schon zuvor gesegnet wurden. So soll Karl der Große im Jahre 789 ein Verbot gegen die Glockenweihe erlassen haben, das sich jedoch nicht durchsetzen konnte.

Die Glockenweihe wird nach dem Ritual der römisch-katholischen Kirche von einem Bischof oder einem beauftragten Priester vollzogen. Zu Beginn betet der Geistliche den 50. Psalm, dem weitere Psalmen folgen. Hierauf segnet er Salz und Wasser. Während abermals Psalmen gebetet werden, wäscht er zusammen mit den Kirchendienern die Glocke innen und außen mit Weihwasser ab. Mit Gebeten wird der Segen Gottes für die Glocke erfleht, damit sie gegen Dämonen und Unwetter Macht habe; zugleich soll ihr Klang die Gottseligkeit förden. Dann macht der Bischof mit dem für die Letzte Ölung bestimmten Öl sieben Kreuze auf die Außenseite und vier auf die Innenseite der Glocke, während zwei Weihegebete gesprochen werden. Im Anschluß stellt der Priester das Weihrauchgefäß so unter die Glocke, daß der Rauch in ihr emporsteigt. Die Verse 38-42 aus dem Lucasevangelium beschließen dann die Glockenweihe.

Die Glockentaufe

Neben dieser bischöflichen Amtshandlung gibt es noch weitere feierliche Verrichtungen, so die Namensgebung für die Glocke. Dafür gab es sogar Glockenpaten, die den Namen für die Glocke nennen konnten und in diesem Zusammenhang reiche Geschenke machten. Gerade deshalb wurde im Volksmund für die Glockenweihe der Name Taufe verwendet. Die kirchliche Sprache bediente sich aber dieses Wortes nie, sondern verwendete stets den Begriff Einweihung.

Im Jahre 1518 wurden auf dem Reichstag zu Nürnberg 100 Beschwerden über den römischen Stuhl übergeben, in denen auch die Glockenpaten genannt sind. Auch Luther sah in den Handlungen zur Glockenweihe und ihrer Namensgebung eine Taufhandlung. So ist von ihm überliefert, daß er sich über die Blindheit der Bischöfe beklagte, die Glocken, Holz und Steine beschmieren und mit Wasser besprengen. Nicht Christus, sondern Spinnen und Vögel können dann darin wohnen. Und weiter : "An statt der Seelen taufen sie tote Geschöpfe, Stein, Altar, Glocken, -  das ist eine große Unsinnigkeit und Thorheit, daß du vor Lachen erstarren müßtest." Es wäre noch zu berichten, daß Luther möglicherweise durch einen Blitzschlag zum Reformator wurde. Wie erzählt wird, schlug im Jahre 1505 vor den Toren Erfurts ein Blitz neben dem jungen Luther ein. Im ersten Schrecken soll er gelobt haben: "Hilf, heilige Anna, ich will eine Mönch werden."

Das Wetterläuten

Der Glaube an die Macht des Glockentons reicht sicher in die ältesten Zeiten zurück. Wir wissen, daß Lärm schon in der Antike der Abwehr von Geistern und Dämonen diente. So konnte es nicht ausblieben, daß die Glocken mit der ihnen zugeschriebene dämonenvertreibenden Eigenschaft auch zu Wetterglocken wurden. Mythen und Sagen erzählen davon, wie Hexen oder der Teufel Gewitter, Sturm und Hagelschauer verursachen. Aber mit dem Läuten der Kirchenglocken war das Unheil nach Meinung der einfachen Menschen oft abzuwenden. Seit wann die Glocken auch Inschriften zur Gefahrenabwehr trugen, scheint nicht bekannt zu sein.

Ein Blick in den deutschen Glockenatlas Bd. 4, Baden, läßt vermuten, daß Glockeninschriften zur Abwehr von Gewitter und Blitz erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts aufkamen. Im Jahre1486 erhielt eine Glocke für das Münster der damals noch freien Reichsstadt Schaffhausen eine längere lateinische Inschrift, die mit den Worten "Vivos voco. Mortuos plango. Fulgura frango." ('Die Lebenden rufe ich. Die Toten beklage ich. Die Blitze breche ich.') beginnt. In der Folge geht der lateinische Text in eine deutsche Formulierung über. In dieser wird der Abt von Schaffhausen als der Stifter der Glocke und schließlich auch der Glockengießer Lugwig Peiger aus Basel genannt. Schiller, der aus einer Encyklopädie davon erfuhr, übernahm das Motto für sein "Lied von der Glocke". Im oben genannten Glockenatlas finden sich für Baden 30 Hinweise auf lateinische Inschriften zur Abwehr von Unwettern und Blitzen. In deutsch gehaltene Abwehrformeln auf Glocken sind sehr selten. Eine für die katholische Pfarrkirche in Friedingen (Singen) im Jahre 1670 gegossene Glocke erhielt die vierzeilige Inschrift: "DIE LEBENDIGEN BERVFE ICH / DIE DOTEN BEKLAGE ICH / DEN DONNER BRICHE ICH / WER DAS NICHT GLAVBT DER LESE MICH." Eine für den Ort Höchenschwand im Jahre 1825 gegossene Glocke dürfte vermutlich die letzte gewesen sein, auf der noch zwischen die Stege die lateinische Inschrift "VIVOS VOCO MORTUOS PLANGO FULGURA FRANGO" angebracht wurde.


Blitzschlag beimIn die Literatur sind Hinweise auf das Wetterläuten recht spät eingegangen. Die vermutlich erste Aussage dazu findet sich bei Johann Fischart in seiner 1572 erschienenen "Aller praktik Großmutter". Dort heißt es: "Im großen regen werden sich die Weiber hinden auffdecken, auff das sie das haupt verstecken. Wann der Hagel als erschlagen hat, so ist das Wetter läuten zu spaat." Frühere Angaben über das Wetterläuten sind aus alten Urkunden bekannt. So erfahren wir aus einer Rechnung des Konstanzer Säckelamtes von 1443 fol. 14.: " den wetterlütern 4 Pfd. den. (Denar) irs solds für daß wetter lüten." (ZGO 14/256). In einem Bestallungsbrief für die Verleihung des Mesneramtes an Hans Wolf zu Odenheim vom 10. Januar 1522 heißt es: " Zum dritten soll er geflissen sin so zu ziten wetter kumen zu rechter zit und nit vertziehen gegen dem Wetter zu leutten, sol auch das crützlin ein stuck vom heilgen crütz ist mit ernstlicher andacht in seine hande nemen und heruss uff den Kirchhof geen unddasselbig gegen dem wetter halten, wie es dann von alter her im bruch und ubung gewesen ist." (ZGO 55/466). Einer im Jahre 1560 in Burkheim am Kaiserstuhl erlassenen "Ordnung" ist zu entnehmen, daß jeder Bürger im Bann, der drei Sester Frucht, Korn, Weizen, Hafer oder Gerste sät, dem Sigeristen (Mesner) für das Wetterläuten eine Garbe schuldig sei. (ZGO 57/572).

Daß es noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Bodenseeraum eine besondere Form des Wetterläutens gab, erfahren wir von Heinrich Hansjakob inseinen "Schneeballen", Erzählungen vom Bodensee. Er läßt uns wissen, daß sein Mesner jeweils von Mai bis September um ein Uhr das Wetterzeichen läutet. Während er läutet, nehmen die Männer den Hut ab, und alle beten um Abwendung von "Hochgewitter".

Das Handbuch des Deutschen Aberglaubens berichtet von erbitterten Feindschaften zwischen Nachbargemeinden. Der Streit entstand aus der Überzeugung, daß eine angrenzende Gemeinde eine Glocke mit einem besonders "scharfen" Ton besitze, der zwar die heranziehenden Unwetter vom eigenen Dorfe fernhalte, sie aber aber dadurch dem benachbarten Ort zutreibe. Auch eine Glocke in Rickenbach im Hotzenwald soll das mit ihrem "miserabel" scharfen Ton bewirkt haben. Hin und wieder wurde den Besitzern solcher Glocken eine hohe Kaufsumme angeboten; mitunter wurde ihnen jedoch auch mit einem Prozeß gedroht. Aber nicht nur gegen Blitz und Donner, sondern auch gegen den gefürchteten Hagel läuteten die Glocken. Im Jahre1850 trieb das Glockenläuten in Hänner (Säckingen) nach Meinung der Nachbarn den Hagel zu ihnen. Sie beschwerten sich, worauf das Läuten verboten wurde. An dieser Stelle wären endlich noch das Böllerschießen und die Hagelkanonen zu nennen. Die letzteren wurden sogar noch in neuerer Zeit eingesetzt.

Maßnahmen gegen das Wetterläuten

Im Jahre 1784 wurde durch eine Verordnung des Kurfürsten Karl Theodor das Wetterläuten in Bayern verboten. Die Maßnahme richtetet sich nicht unmittelbar gegen den mit dem Läuten verbunden Aberglauben, sondern sollte verhindern, daß immer wieder Glöckner vom Blitz erschlagen wurden. Vielleicht wollte aber Karl Theodor auch die Einführung der von ihm anerkannten und empfohlenen Wetterableiter rascher durchsetzen. Mit den Glocken sollte zukünftig nur noch ein bestimmtes Signal gegeben, aber alle Kirchen in den Städten und Dörfern mit Blitzableitern versehen werden. Noch lehnten viele seiner Untertanen die Blitzableiter ab und fürchteten sich davor, in oder neben einem Haus zu wohnen, das einen Ableiter hatte. Doch bald zählte Bayern zu den deutschen Ländern, in denen die meisten Wetterableiter eingerichtet waren. In dem kurfürstliche Edikt gegen das Wetterläuten ist vom "Beweis daß das Glockenläuten bei Gewittern mehr schädlich als nützlich" die Rede. Diese Formulierung griff Johann Nepomuk Fischer auf und gab seiner 1784 erschienen Arbeit gegen das Wetterläuten den gleichlautenten Titel. Seine Arbeit, die sich vorwiegend an die Beamten und Pfarrer auf dem Lande wandte, beginnt nochmals mit dem vorgenannten Motto. Dann folgt: "Wenn das Glockenläuten bey Gewittern wirklich erwiesene schädliche Folgen, und nicht zugleich eben so viel Vortheihaftes hat, so ist es mehr schädlich, als nützlich."

Nachdem immer wieder Glöckner beim Wetterläuten ums Leben kamen, greift Fischer gleich zu Beginn dieses Thema auf, das übrigens auch in späteren Schriften nie vergessen wird. So erfahren wir, daß in der Nacht zwischen dem 14. und 15. April 1718 in der Niederbretagne ein entsetzliches Gewitter herrschte, bei dem Blitz auf Blitz und Donner auf Donner folgte. In 24 einander benachbarten Kirchen an der Küste zwischen Landernau und St.Paul de Leon läuteten die Glocken, und alle diese Kirchen wurden vom Blitz getroffen. Einige andere Kirchen, in denen man nicht läutete, blieben hingegen verschont. Dort hatten sich die Pfarrer dafür entschieden, daß an diesem letzten Tag der Karwoche nicht geläutet werden sollte.

Fischer berichtet in der Folge, daß der Blitz nach den Berechnungen eines deutschen Physikers binnen 33 Jahren 186 Glocken getroffen und dabei 103 Läuter getötet habe. Nach Fischers Meinung wird ein Glocke durch den Schlag des Klöppels erhitzt und damit die Luft um sie herum dünner. Dieser Vorgang schafft dem Blitz Raum, und so schlägt er in den Turm ein, in dem geläutet wird. Auch mache die Erwärmung die Glocke positiv elektrisch und bilde so eine elektrische Atmosphäre. Die über den Turm hinwegziehenden Wolken seien negativ elektrisch und  "alsdenn brichts los, und schlägt ein." Auf den 110 Seiten seines Buches geht der ehemalige Professor der Mathematik und Mitglied der kurfürstlichen Akademie der Wissenschaften auf alle damals gängigen Theorien zum Gewittergeschehen ein. Humorvoll schildert er die Glockeninschriften und äußert sich auch so über die Glockentaufe. Für ihn war sie ein unsinniges Affenspiel, für das auf Rechnung der Paten, ansehnlicher Männer, ein herrliches Bankett gegeben wurde. Von ihm genannte Schutzmaßnahmen wurden noch lange von späteren Autoren übernommen. Fischer hat, wie es scheint, wesentlich dazu beigetragen, daß der Unsinn des Wetterläutens erkannt wurde.

Aber dennoch: In Passau hielten im Jahre 1798 Landbewohner bei dem bischöflichen Offizium an, das Läuten der Glocken bei Gewittern wieder zu erlauben. Der Bitte wurde stattgegeben. Im August desselben Jahres wurde in dem Dorf Diepolzhofen ein Läuter vom Blitz erschlagen. Im nahelegen Leutkirch zerschmetterte zwei Tage später ein Blitz die Kreuzspitze des Turms, als bei einem heftigen Gewitter die Glocken gezogen wurden. Von den weiteren Schriften gegen das Wetterläuten sei hier noch G. v. Zangen genannt, dessen Arbeit "Über das Läuten beym Gewitter" 1791 in Gießen erschien und in der verschiedene Polizeiverordnungen zum Wetterläuten behandelt werden.


Allerlei Kulthandlungen

Kulthandlungen gegen die Wirkungen von Blitz und Donner hat es sicher schon seit Urzeiten gegeben. Diese immer wiederkehrenden Naturereignisse stärkten bei allen Völkern den Glauben an dämonische und göttliche Mächte. Christliche Gebete lösten altüberlieferte Beschwörungsformeln ab. Niedergeschriebene Gebete wurden mitunter in Amuletten mitgeführt. Dazu gehörten auch die sogenannten Himmelsbriefe und das kleine, oft mitgeführtes Büchlein "Der wahre Geistliche Schild", ein Schutz vor allen Gefahren. Auch Belemniten dienten als Blitzamulette, und an den Häusern wurde Zeichen angebracht, die das Gewitter bannen sollten. Im südlichen Schwarzwald wurde nicht selten ein Ochsenschädel entweder an die Scheune geschlagen oder aber im Innern unmittelbar unter dem Dachfirst angebracht. Die Wurzeln dieses Brauches gehen vermutlich in vorchristliche Zeiten zurück. In Dürrenbüchig legte man beim Herannahen eines Gewitters einen Laib Brot auf den Tisch. Vielerorts wurden bei einem Gewitter im Wohnraum eine geweihte Kerze, eine sogenannte Wetterkerze, angezündet. In katholischen Gegenden des Schwarzwaldes betete besonders bei Nacht die ganze Familie vor dem Hergottswinkel, bis sich das Gewitter wieder entfernte.
Manchenorts mußte das Herdfeuer bei einem Gewitter sofort gelöscht werden, damit der Rauch den Blitz nicht anziehen konnte. In anderen Gegenden wiederum wurde sogleich grünes Holz aufgelegt, um mit der damit verbundenen Rauchentwicklung die Gewitterhexen abzuschrecken. J. Kraus bezeichnet in seinem "Gewitterkatechismus" Küchen und Herde als besonders gefährliche Plätze, die bei einem Gewitter unbedingt zu meiden sind. Nach seiner Meinung könnte ein Blitz in das Kamin hineingezogen werden, weil aus diesem Rauch entsteigt, der viele schweflige Teile enthält.

In manchen Gegenden Nordbadens steckte man auf dem Feld gefundene Versteinerungen zur Gewitterabwehr unter einen Dachsparren. Weit verbreitet ist der Glaube, daß die auf das Dach gepflanzte Haus- oder Dachwurz (Sempervivum tectorum) das Gebäude vor Blitzschlag und Feuersgefahr schütze. Es wird vermutet, daß der Glauben an die blitzabwehrende Kraft der Hauswurz schon in der Antike verbreitet war. In der Landgüterordnung Kaiser Karls des Großen (Capitulare de villis) werden die Pächter der kaiserlichen Hofgüter verpflichtet, Dachwurz auf die Hausdächer zu pflanzen. Neuere Forschungen lassen vermuten, daß die rundum gewimperten Blattränder der Dachwurz je nach Ladung der Gewitterwolke positive oder negative Elektrizität "absprühen". Das ursprüngliche Gewitterfeld in der Umgebung vieler Dachwurzpflanzen würde aber damit verändert. So gesehen hätte die Pflanze, die auch unter dem Namen Donnerbart bekannt ist, vielleicht doch eine örtliche, den Blitz abweisende Eigenschaft. Verbreitet ist noch heute der Aberglaube, daß kein Haus vom Blitz getroffen wird, auf dem ein Vogel nistet. Insbesondere gilt dies für den Storch. Allen bekannt ist St. Florian, der Schutzheilige gegen Feuers- und Wassergefahr, der um 304 in Oberösterreich in die Enns gestürzt wurde. In katholischen Gegenden Deutschlands ist in den Gibeln vieler Häuser sein Bild angebracht. Bei dem Stoßseufzer: "Oh heiliger St.Florian, schütze unser Haus - zünd andere an." hat dann sicher mancher Hausbesitzer das am Gibel angebrachte Bild vor Augen und vertraut auf dessen Hilfe.

Von der Reibungselektrizität zum Blitzableiter

Heute ist das Wissen Allgemeingut, daß es sich bei Blitzen um elektrische Entladungen handelt. Es war Professor J. H. Winkler, der im 18. Jahrhundert erstmals auf den Gedanken kam, daß Blitz und Donner elektrische Erscheinungen sein könnten. Bei seinen Versuchen mit "Leydner Flaschen" erzeugte er "verstärkte Electrizität" und beobachtete dabei starke, mit Geräusch verbundene elektrische Funken. Die Ergebnisse seiner Forschungen erschienen dann in "Die Stärke der electrischen Kraft".  Im X. Haupstück dieser 1746 veröffentlichten Arbeit schreibt er: "das bringt den Verstand gar leicht auf die Untersuchung, ob Schlag und Funken nicht eine Art des Blitzes und Donners seyn könnten ? Freylich, thun Donner und Blitz, so in der Atmosphäre entstehen, eine viel tausendmal stärkere Wirkung als Funken zwischen electrisierten und unelectrisierten Körpern." Andere Forscher griffen diesen Gedanken auf. Die Experimente wurden damals noch mit Elektrisiermaschinen ausgeführt, bei denen durch Reibung von Glaskugeln statische Elektrizität erzeugt wurde. Die zur Verstärkung seinerzeit eingesetzten "Leidener Flaschen" würden wir heute als Kondensatoren bezeichnen.

Franklins Schilderhäuschen

Es war Benjamin Franklin, der 1749 ebenfalls eine Beziehung zwischen der Materie des Blitzes und der Reibungselektrizität feststellte. Er machte im Jahre 1750 den bekannten Vorschlag mit dem Schilderhäuschen: "Auf einem hohen Turm soll ein Schilderhäuschen mit einem isolierten Schemel errichtet werden, der mit einer 20-30 Fuß hohen, oben spitzen Eisenstange versehen sein muß. Auf diesen isolierten Schemel muß sich dann eine Person stellen. Bei einem heraufziehenden Gewitter würde diese Person dann über die Eisenstange aufgeladen, und man könnte ihr elektrische Funken entnehmen. Bei Gefahr aber sollte die Eisenstange über einen Draht geerdet werden."

Als die Veröffentlichungen Franklins in Europa bekannt wurden, baute Thomas Francois Dalibard in der Nähe von Paris auf einem Hügel ein Schilderhaus nach den Angaben Franklins und versah es mit einer fast 12 m hohen Eisenstange. Am Nachmittag des 10. Mai 1752 gelang es dem Gehilfen Dalibards beim Vorbeizug eines Gewitters, Funken aus dem unteren Ende der Stange zu ziehen. Zugegen waren der Dorfpfarrer und einige Dorfbewohner. Mit diesem Versuch war erstmals der Beweis erbracht, daß der Blitz eine elektrische Erscheinung ist.

Franklin läßt einen Drachen steigen


Dalibards
In der selben Zeit sann auch Franklin über weitere Experimente nach. So wollte er zunächst Versuche auf einem Kirchturm vornehmen, der gerade in Philadelphia im Bau war. Während er auf dessen Vollendung wartete, kam ihm beim Anblick eines Kinderdrachens der Gedanke, daß sich die Gewitterelektrizität mit einem Drachen vielleicht noch leichter beweisen lasse. Aus zwei Taschentüchern und zwei über Kreuz gebundenen Stöcken fertigte er einen Drachen. Im Juni des Jahres 1752 ging er bei der ersten Annäherung eine Gewitters von seinen Sohn begleitet auf das freie Feld und ließ den Drachen steigen. An dem unteren Ende der Hanfschnur befestigte er einen Schlüssel; die Schnur selbst band er mit einem Seidenband an einen Pfosten. Die Seide diente als Isolation zwischen der Schnur und dem Pfosten. Obwohl eine dicke Gewitterwolke über dem Ort stand, tat sich zunächst nichts. Dann aber bemerkte Franklin, daß sich lockere Fasern an der Hanfschnur hochstellten. Er hielt einen Fingerknöchel an den Schlüssel und empfing einen elektrischen Funken. Als der Regen heftiger und damit die ganz Schnur naß wurde, ließ sich Funke auf Funke aus dem Schlüssel ziehen. Obwohl Dalibard in Paris den Beweis für die Gewitterelektrizität schon einen Monat zuvor erbracht hatte, ist doch Franklins Drachenversuch bekannter geworden.

In einem Brief vom 19. Oktober 1752 beschreibt Franklin, wie sein Drachenversuch auszuführen ist. Das dazu verwendete "Schnupftuch" sollte aus Seide sein, um Wind und Nässe abzuhalten. Oben am Drachen sollte ein etwa ein Fuß langer, sehr spitzer Draht über diesen hinausragen und am Ende der Drachenschnur ein Schlüssel und ein seidenes Halteband befestigt werden. Die Person, die dann das Band hält, sollte sich in einem Tür- oder Fensterbereich aufhalten, damit das Band nicht naß werden kann. Franklin weist darauf hin, daß an dem Schlüssel die Gläser (Leydner Flaschen) geladen werden können. Da man aber mit den so geladenen Flaschen Weingeist entzünden kann, wie das auch mit Hilfe der geriebenen Glaskugeln möglich war, endet der Brief mit dem Satz: "Wodurch also die Übereinstimmung der elektrischen Materie des Blitzes volkommen bewiesen ist." Wenngleich Franklin schon seit längerem der Meinung war, daß ein spitze Stange die Gefahr einer Gewitterwolke ableiten kann, dauerte es doch noch einige Jahre, bis sich seine Idee durchsetzte. Im Jahre 1760 wurde in Phildelphia die erste Franklin'sche Ableiterstange gesetzt, die sich dann auch bewährte.

Versuche an vielen Orten

Tödlicher Ausgang

Etwa ab 1750 wurde die Elektrizität salonfähig. Ein beliebter, vielmals gezeigter Versuch war, mittels eines elektrischen Funkens eine vorgewärmte, kleine Menge Alkohol zu entzünden. Noch reizvoller war das Geschehen, wenn der dazu nötige Funke aus einem isoliert aufgestellten Menschen gezogen werden konnte. Immer bessere und größer Elektrisiermaschinen wurden entwickelt. Zugleich setzten die Ärzte die Reibungselektrizität zur Behandlung von allerlei Gebrechen ein. Im Anfang wurden ungeahnte Heilerfolge erzielt, wie das oft bei völlig neuen Methoden der Fall ist. Hierzu ein Satz aus Kratzensteins 1745 erschienen "Electricität in der Arzneywissenschaft": "Ich hatte auch schon einem gelehrten Mann das Vergnügen gemacht, daß er mit seinen 2 gelähmten Fingern nach einer eintzigen Electrification auf dem Clavier wieder spielen konnte."

Das erste Unglück

Als am 6. August 1753 der Petersburger Professor Georg Wilhelm Richmann bei seinen Experimenten mit der "Luftelektrizität" durch einen "Wetterstrahl" getötet wurde, erkannte alle Welt die Gefährlichkeit der bisherigen Versuchsreihen. Richman hatte eine Metallstange vom Dach seines Hauses in sein Arbeitszimmer geführt und bestimmte täglich die an der Stange auftretende Elelektriziät. J. Fr. Hartmann berichtet, daß Richmann noch am 1. August den Nachweis erbrachte, daß sich die an der Stange gewonnene Elektrizität verstärken ließ. Er führte sie dazu über eine Kette in die gläsernen Flaschen (Leydner Flaschen), aus der er sie auch wieder entnehmen konnte. Als der Diener Richmanns während eines Versuches das Arbeitszimmer betrat, drehte sich Richman um und kam der Stange zu nahe. Dabei trat aus dieser eine bläuliche Kugel von der Größe einer Faust aus, die Richmann an der Stirn traf und tötete. Vielleicht war dieses Gebilde ein "Kugelblitz", dessen Existenz neuerdings nicht mehr umtritten ist. Hin und wieder können Kugelblitze unmittelbar nach dem Niedergang eines Linienblitzes auftreten, entstehen vielleicht  dann in dessen elektrischem Feld.


Ein besonderer Blitzableiter

Nach dem Tode Richmanns sah man die Notwendigkeit, die Ableiterstangen zu erden und vorsichtiger zu sein. Zugleich zeigten auch alle bisherigen Versuche, daß sich in der Atmosphäre immer Elektrizität bildete. Zu dieser Zeit experimentierte auch der böhmische Priester Prokop Divisch (auch Diwisch oder Divis geschrieben) mit der Reibungselektrizität und beschritt außerdem Wege zur medizinischen Anwendung der neu entdeckten Kraft. Seine Patienten behandelte er mit schwachen Stromstößen aus den "Verstärkerflaschen". Gleichzeitig sucht er Wege, der "Luftelektrizität" den Schrecken zu nehmen, was seiner Meinung nach nur ein geerdeter Blitzableiter bewirken konnte. Am 15. Juni 1754 stellte er im Pfarrgarten zu Primetice den ersten geerdeten Blitzableiter der Welt auf, der sich ganz wesentlich von dem Stangenblitzableiter Franklins unterschied. Mit Hilfe einiger hundert Spitzen sollte Divischs Blitzableiter einen großen Teil der elektrischen Ladung aus den Wolken absaugen und damit dem Blitzschlag vorbeugen. Sein Gerät, das Divisch als atmosphärische Maschine bezeichnete, hatte auch eine Hauptstange, aber daneben befanden sich Querstangen, auf denen Kästchen mit Eisenspitzen waren. Alle Teile der Anordnung waren geerdet.


Plakette
Die Bevölkerung hatte allerdings Angst vor diesem Blitzableiter. So rissen Bauern, die den Ableiter für einen trockenen Sommer verantwortlich machten, diesen wiederholt nieder. Divischs Erfindungen fanden bei seinen kirchlichen Vorgesetzten ebenfalls keinen Anklang. Schließlich wurde ihm verboten, die Wettermaschine neu aufzustellen. Das Verbot galt auch seiner Schrift  "Die längst verlangte Theorie über die meteorologische Electrice", die erst im Jahre 1765 von seinem protestantischen Freund F.C. Oetinger herausgegeben wurde. Divisch starb im selben Jahr, und es ist nicht bekannt, ob er die Veröffentlichung seiner Schrift noch erlebte.

Vom Blitz verletzt

Am 3. März 1783 wurden in Grötzingen bei Durlach vier Jugendliche von einem Blitz verletzt, als sie während eines Gewitters unter einen Eiche Schutz suchten. In Abwesenheit des Physikus Dr. Landmann wurde dem Landchirurgen Johann Joseph Zandt aus Durlach aufgetragen, sich sogleich auf den Platz zu begeben, um den Kindern Hilfe zu leisten.

Zandt begab sich am Nachmittag des 3. Mai 1783 nach Grötzingen, um die vom Blitz getroffenen jungen Leute zu untersuchen und das Nötige zu veranlassen. In seinem dem Oberamt Durlach vorgelegten Bericht schildert er die festgestellten Verletzungen sehr ausführlich und präzis. Zandt vergleicht einige Verletzungen des 15jährigen Jakob Friedrich Volz mit Schroteinschüssen, die allerdings nicht die Haut durchdrungen hätten. Er bemerkt dann, daß sich an der Kleidung des Jungen keine Beschädigungen fanden. Bei der Untersuchung des 14jährigen Friedrich Walther sieht er, daß an dessen linken Schläfenseite Haare abgesengt wurden. Dieser Junge lag nach Aussage der anderen Jugendlichen etwa eine Viertelstunde regungslos, bis die ersten Helfer kamen. Er wurde dann auf einem Karren nach Hause geführt und erholte sich nur langsam wieder. Bei der 15 Jahre alten Magdalena Heid waren hinter dem rechten Scheitelbogen die Haare eine halbe Handbreit ganz versengt, und darunter befand sich eine Verletzung. An weiteren Körperstellen zeigten sich rote Streifen. Auch Magdalena war 6-7 Minuten ohne Besinnung. Die beiden bewußtlosen Kinder hielt man zunächst für tot. Salome Kurz, 15 Jahre, hatte größere Brandwunden und Abschürfungen, erholte sich aber dennoch rascher als die anderen. Zandt schlug vor, den Platz zu untersuchen, um möglichst zu erfahren, wie sich der "Zufall" ereignete und wie die "Beschädigten" nebeneinander unter der Eiche gesessen hatten.

Dem wurde stattgegeben, und die dann befohlene Ortsbesichtigung ließ die Gewalt des Blitzes erahnen. Noch 50 Schritte von dem getroffen Baum fanden sich Holzsplitter und Rindenstücke. Der Haupgegenstand der Untersuchung war die Wirkung des Blitzes auf die vier verletzten Kinder. Sie mußten sich wieder so hinsetzen, wie sie während des Gewitters saßen. Es zeigte sich, daß Magdalena Heid dem Baum am nächsten gewesen war und sich auch mit dem Rücken an ihn angelehnt hatte. Interessant ist die Aussage Zandts, daß Magdalena kaum 6 Zoll weit von dem Abfluß des elektrischen Stroms entfernt war, der sich an der starken Beschädigung des Stammes zeigte. Die Bezeichnung "Strom" war damals noch  keineswegs Allgemeingut. Erstmals scheint sie von Tetens in seiner 1774 erschienen Arbeit verwendet worden zu sein, wo es heißt: "... der durch innere Gewalt aus der Wolke hervorbrechende Strom der electrischen Materie...". Bis dahin wurde die Elektrizität noch als elektrisches Fluidum oder elektrische Materie bezeichnet. Bei der Besichtigung des Unfallortes, die am 20. Mai 1783 stattfand, stellte Zandt fest, daß bei drei Betroffenen die Verletzungen noch nicht vollkomen verheilt waren und sogar noch stark eiterten.

Der Kugelblitz, noch immer ein Rätsel

Das Wort Kugelblitz ist eine Wortschöpfung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. In der früheren Literatur wird dieses Phänomen treffender als feurige Kugel, Feuerkugel oder Feuerklumpen bezeichnet. 1759 berichtet J. Fr. Hartman, daß sich ein Blitz in Gestalt einer Kugel in einer Kirche gezeigt habe, sich an verschiedenen Personen vorbeibewegte, diese aber nicht verletzte; an anderer Stelle spricht Hartmann von feurigen Luftkugeln. Er unterscheidet dabei zwei Gattungen: die eine, die mit einem sehr großen Knall verschwindet, und die andere, die lautlos den Ort verläßt. In seinem 1778 erschienenen Buch "Vom Blitze" berichtet Reimarus von einem Feuerklumpen, der durch ein Haus schwebte.  Die Reihe ließe sich fortsetzen. Allerdings ist zu beachten, daß in der alten Literatur die Kometen und Meteore in gleicher Weise als Feuerkugeln beschrieben werden. Seit Jahrhunderten wird immer wieder über kugelige Lichterscheinungen berichtet, die wir heute als Kugelblitze bezeichnen. Noch vor wenigen Jahren waren die Forscher skeptisch und hielten die Berichterstatter für Phantasten. Zur Erklärung der beobacheteten Phänomene wurde vorwiegend die sogenannte Nachtleuchthypothese verwendet. Diese geht davon aus, daß der Erzähler zuvor in das Blitzlicht blickte und dann als Nacheffekt auf der Netzhaut eine Kugel sieht. Über die Entstehung des Kugelblitzes gab es sogar in neuester Zeit noch sehr seltsame Theorien. So war noch in Mayers Großem Universallexikon, Ausgabe 1986, Band 8, Seite 241  zu lesen, daß die Realität der Erscheinung nach wie vor umstritten sei und neuerdings als Verbrennungsvorgang organischer Materie, z.B. eines vom Blitz getroffenen Vogels, gedeutet werde.

Seit 1984 sammelt der Verfasser des vorliegenden Aufsatzes mithilfe eines Fragebogens Augenzeugenberichte über das Auftreten von Kugelblitzen; mittlerweile liegen 130 Berichte vor. Selbstverständlich ließ sich mit den Angaben der Augenzeugen das Geheimnis des Kugelblitzes noch nicht lüften, aber immerhin konnten einige der bisherigen Theorien widerlegt werden.  So liegen allein 40 Berichte über Ereignisse innerhalb von Gebäuden vor, bei denen die Augenzeugen den Blitz zuvor nicht sehen konnten. Die Nachleuchthypothese ist damit nicht mehr haltbar. Ferner traten Kugelblitze häufig schon vor einem örtlichen Gewitter auf bzw. bevor Blitze niedergingen. Dies spricht sowohl gegen die Nachleuchthypothese als auch gegen einen vom Blitz getroffenen Vogel. Für den instabilen Zustand der Kugelblitze spricht ihr kurze Verweildauer. So waren in 34% der untersuchten Fälle die Objekte nur 1-3 Sekunden sichtbar. Manchmal lösen Kugelblitze Brände aus oder wirken in andere Weise zerstörend. Häufig verschwinden sie lautlos, dann aber wieder mit schwachen bis starkem Knall, gelegentlich auch explosionsartig. Dieses Verhalten hat schon J. F. Hartmann 1759 so beschrieben. Das Phänomen Kugelblitz wird mittlerweile weltweit erforscht. Vielleicht kann die natürliche Energiequelle der Kugelblitze bald identifiziert und damit eine Lücke in unserem Wissen geschlossen werden.

Schutzmaßnahmen einst und heute

Viele Forscher befaßten sich seit der Einführung der Blitzableiter mit der Frage, wie sich Menschen in Gebäuden ohne Blitzableiter und im Freien richtig verhalten sollen. Es waren überwiegend Männer, die ihr Wissen um die Elektrizität aus dem Umgang und den Versuchen mit Elektrisiermaschinen gewonnen hatten. Zu diesen gehörte Johann Conrad Gütle, der Elektrisiermaschinen baute und mehrere Bücher über die damit möglichen Versuche für den Schulgebrauch schrieb. Im Jahre 1805 erschienen seine "Allgemeinen Sicherheits-Regeln für Jedermann bei Gewittern, in Ermangelung eines Blitzableiters den Gefahren des Blitzschlages auszuweichen."

Gütle hat das Thema so umfassend beschrieben, daß hier nur ein kurzer Überblick möglich ist. Über manche seiner Regeln können wir nur lächeln, andere aber sind durchaus heute noch anwendbar. Recht kurios ist seine von dem Abt Ponclet übernommene Beschreibung eines Gewitterzimmers. Da wird vorgeschlagen, in einem Garten eine kleines Zelt ohne jegliche Metallteile zu errichten. Oben ist es mit drei Schichten Wachstuch abzudecken, während die Seitenwände mit seidenen Tapeten behängt werden. In solch einem Behältnis sollte man vor den "Wetterstrahlen" vollkomen sicher sein. Er läßt dann den Rat des Leidener Naturforschers Pieter van Muschenbroek (1692-1761) folgen. Der schlug vor, eine Holzhütte mit Pech zu überziehen, um sich bei Gewitter darin aufzuhalten. Es könnte auch ein kleines Zimmer der Wohnung mit blauen Seidentapeten verziert und der Fußboden darin mit Pech übergossen werden.

Hin und wieder muß es doch vorgekommen sein, daß Personen in ihren einfachen Behausungen vom Blitz erschlagen wurden. Das im Jahre 1828 vom Gustav Schwab verfaßte Gedicht "Das Gewitter", läßt dies vermuten. Wir erfahren darin, daß "Urahne, Großmutter, Mutter und Kind vom Strahl mit einander getroffen sind.." Auch in der älteren Literatur wird gelegentlich von solchen Unfällen berichtet. Wenn Schwab in der ersten Strophe des Gedichtes anführt , daß "alle in dumpfer Stube zusammen sind", dürfen wir annehmen, daß er noch an die Gefährlichkeit der Dämpfe und Dünste glaubte. Heute ist auch in einem Haus ohne Blitzableiter durch den Einbau ableitender Wasserleitungen und Gasrohre sowie elektrischer Installationsleitungen die Gefahr weitgehend gebannt.

Im übrigen sah man noch immer Zusammenhänge zwischen der Materie des Blitzes und den Dünsten. Unter der Überschrift "Verhalten im Zimmer" schreibt Gütle: "Man nehme bei schwühlen Tagen auf Reinlichkeit Bedacht. Der Mensch lebt immer in einer Wolke von Dünsten, die aus ihm entstehen, und sie wird nicht selten so bemerkbar, daß man sie riecht." Eben diese Dünste konnten sich nach der damaligen Meinung leicht entzünden und mit dem Blitz verbinden. In § 169 fordert Gütle:  "Man vermeide alles Erhitzen und Schwitzen, und alle Unreinlichkeit in der Kleidung."

Gütle beschreibt auch einen Blitzschirm. Ein großer Schirm aus gewachster Seide mit Stangen aus Fischbein sollte mit einem längeren Spazierstock verbunden werden; ferner war eine lange Metalltresse mitzuführen. Bei Gefahr mußte der Schirm geöffnet und die Tresse an dessen Spitze befestigt werden. Das Ende der Tresse aber sollte in einiger Entfernung auf der Erde aufliegen. Die unter dem Schirm sitzende Person bliebe dann schadlos. Schon zuvor hatte sich in Paris eine "Blitzableitermode" entwickelt. Wer etwas auf sich hielt, schmückte sich mit einem Regenschirm, von dem ein Metallband bis zum Boden reichte. Frauen trugen Hüte, die ebenfalls mit einer Erdableitung versehen waren.

Welche Regeln gelten nun heute? Die wichtigsten Regeln wurden schon eingangs genannt: man sollte sich mit geschlossenen Beinen hinhocken, wenn möglich in einer Bodenmulde, in einem Hohlweg oder unter einem Felsvorsprung, und sich dabei weder irgendwo anlehnen noch jemanden berühren. Bliebe noch zu erklären, warum es heute als falsch und lebensgefährlich angesehen wird, sich flach auf den Boden zu legen, obgleich früher gerade zu diesem Verhalten geraten wurde.  

Ein Blitzstrom wird an der Einschlagstelle nicht unmittelbar vom Erdboden aufgenommen, sondern fließt in Teilströmen mehr oder weniger sternförmig ab. Damit treten auch in größerer Entfernung vom Einschlagort noch Ströme im Erdboden auf, die gefährlich sind. Im allgemeinen wird die Gefahrenzone mit 15 m angegeben; bei felsigen Untergrund dürften es aber bis zu 100 m sein. Da die Stromstärke eines Blitzes bis zu 100 000 Ampere beträgt, fließen selbst in den einzelnen Teilströmen noch mehrere 1000 Ampere. Während des Stromflusses treten dann zwischen zwei voneinander entfernten Punkten Spannungen auf, die von dem Widerstand des Bodens abhängig sind. Nach dem Ohmschen Gesetz ist die an einem Leiter auftretende Spannung das Produkt aus Stromstärke und Widerstand. Angenommen, der Widerstand des Erdbodens beträgt im Oberflächenbereich pro Meter 50 Ohm und der Teilstrom noch 1000 Ampere, so beträgt die an zwei Punkten im Abstand von einem Meter abgreifbare Spannung 50 000 Volt. Würde in diesem Bereich ein Mensch mit ausgestreckten Armen am Boden liegen, so käme er mit etwa 100 000 Volt in Berührung. Damit wird auch verständlich, weshalb ein Blitzschag oft sehr viele Tiere aus einer Herde tötet: diese kommen wegen des großen Abstands zwischen Vorder- und Hinterhufen oft mit hohen Spannungen in Berührung.

Literatur- und Quellenhinweise :

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Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. (ZGO)  

Anmerkungen:

(*) Dieser Aufsatz erschien erstmals unter dem Titel "Man erhitze sich daher zur Zeit der Ungewitter nicht" in Hierzuland  8/15,  1993: 6-23. [zurück zum Anfang]

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